Stimmen aus der Praxis
Anpfiff zur Milderung der sozialen und klimatischen Probleme durch Energiegemeinschaften in Mayotte
Im Rahmen des MAESHA-Projekts arbeiten wir mit der Bevölkerung von Mayotte zusammen, um Energiegemeinschaften aufzubauen. Dabei wird erneuerbare Energie von den Menschen vor Ort selbst erzeugt und genutzt. Unser Projektleiter Tidian berichtet über seine Arbeit und betont, dass jede Initiative zur technologischen Innovation die Perspektiven und Prioritäten der Menschen berücksichtigen sollte.

Autor: Tidian Baerens, Hudara

Menschen versuchen zu überleben

Mein Kollege Boris und ich sind in Mayotte, einer Insel zwischen dem Nordosten Mosambiks und dem Nordwesten Madagaskars. Da das MAESHA-Projekt dort stattfindet, wollen wir wissen, was die Menschen dort über erneuerbare Energien denken, wie sie sich in Aktivitäten und Lösungen einbringen möchten und welche Synergien mit den lokalen Partnern bestehen. Einige der Menschen, die wir treffen, reagieren mit Begeisterung, andere sind misstrauisch und machen deutlich, dass sie mit früheren Projekten keine guten Erfahrungen gemacht haben. Auf die Frage nach den Bedürfnissen der Gemeinschaft antwortete einer unserer Partner trocken: „Die Menschen versuchen zu überleben.“

 

Willkommen im 101. Departement Frankreichs oder das Echo des Kolonialismus

Geografisch gehört Mayotte zu den Komoren. Aufgrund seiner Kolonialgeschichte und eines Referendums im Jahr 2009 gilt es offiziell als ein Departement Frankreichs. Diese Umstände und die sich daraus ergebende soziale und kulturelle Dynamik haben erhebliche Auswirkungen auf das Leben in Mayotte. Oberflächlich betrachtet, befinden wir uns in einem kleinen Paradies mit einer wunderschönen Flora und Fauna. Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen aus Ostafrika, Europa und der arabischen Welt leben hier zusammen. Dennoch ist diese einzigartige und vielfältige Gesellschaft mit enormen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen konfrontiert: zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit, hohe Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, postkoloniale Tendenzen und Kämpfe um Ressourcen gehören zum Alltag. Mit einem BIP, das mit dem von Dschibuti vergleichbar ist, ist die Insel extrem arm und dennoch die mit Abstand wohlhabendste Region unter ihren unmittelbaren Nachbarn. Dies hat Mayotte zu einem wichtigen Ziel für illegale Migration gemacht. Man schätzt, dass etwa die Hälfte der 500 000 Einwohner keinen gültigen Rechtsstatus hat und ständig Gefahr läuft, abgeschoben zu werden. Wir hören viele Geschichten von unbegleiteten Kindern, die von ihren Eltern in Mayotte in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückgelassen wurden. Die illegale Migration ist nur ein Grund für die eklatanten sozialen Unterschiede. Während die Kluft zwischen Menschen mahorischer, madagassischer und komorischer Herkunft für Außenstehende weniger sichtbar ist, wird sie bei der kleinen Minderheit überwiegend weißer und zurückgezogen lebender Menschen, die aus dem französischen Festland zugewandert sind, auffallend deutlich. Diese arbeiten meist in gut bezahlten Berufen, oft in Verwaltungspositionen. In Mayotte hallt die koloniale Vergangenheit noch nach, sichtbar und unsichtbar zwischen den hohen Mauern der Siedlungen und den Blechhäusern.

 

Die aktuelle Situation der Energieversorgung

Offiziellen Statistiken zufolge hat einer von drei Haushalten keinen ausreichenden Zugang zu fließendem Wasser, in der Regel ohne Anschluss an das Hauptstromnetz. Eine Konsequenz ist, dass die lokale Energieinfrastruktur unter einer wachsenden Zahl illegaler Anschlüsse leidet, und Energiediebstahl den lokalen Netzbetreiber vor große Herausforderungen stellt. In fast jedem Gespräch hörten wir eine Anekdote über kürzlich installierte Solarstraßenlaternen, die kurz darauf gestohlen wurden. Dies verdeutlicht zwar die Gründe für die Skepsis mancher Menschen gegenüber der Bürgersolaranlage, zeigt aber auch den massiven Energiebedarf in den marginalisierten Gemeinden.

Nach Angaben von Gemeindevertretern ist das Bewusstsein für erneuerbare Energietechnologien im Allgemeinen recht gering. Für viele Menschen sind sie teuer und nur etwas für wohlhabende Menschen. Während das Thema Klimawandel in privilegierten Kreisen an Bedeutung gewonnen hat, wird ihm in Gemeinden, die um die Deckung ihrer Grundbedürfnisse kämpfen, weit weniger Bedeutung beigemessen. Im Gespräch mit einigen engagierten Bürgern und Mitarbeitern lokaler Organisationen wird deutlich, wie wichtig es für sie ist, bei der Bekämpfung der Energiearmut den sozialen Problemen und den Perspektiven und Prioritäten der Menschen größte Aufmerksamkeit zu schenken. Einmal mehr werden wir mit der Realität konfrontiert, dass jede Initiative für technologische Innovation dies zu ihrem Kern machen sollte, denn erneuerbare Energien allein werden nicht zu einer gerechteren oder integrativeren Gesellschaft führen. Letztlich werden die bestehenden Machtstrukturen darüber entscheiden, wer die Vorteile des technologischen und sozialen Wandels erntet.

 

Vielversprechende Aussichten für die Energiegemeinschaft

Unser erster Eindruck ist, dass es ein großes Potenzial für Solartechnologie in Wohngebieten gibt, möglicherweise in Kombination mit sozialem Wohnungsbau und kommunalen Wiederansiedlungsprogrammen. Unsere Zusammenarbeit mit den öffentlichen Akteuren vor Ort ist von entscheidender Bedeutung, um verschiedene Zugangsbarrieren wie finanzielle Zwänge, fehlende Kenntnisse, mangelndes Vertrauen oder andere Faktoren zu überwinden. Sie könnte eine Lösung für die erheblichen rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit informellen Siedlungen sein, benachteiligte Menschen in die Lage versetzen, von den potenziellen wirtschaftlichen und sozialen Vorteilen innovativer Technologien wie sie im Projekt MAESHA angestrebt werden, zu profitieren. Wir haben gerade erst begonnen, aber wir sind voller Hoffnung und Entschlossenheit, gemeinsam mit und für die Menschen etwas zu bewegen.