Author: Anna Siegert im Gespräch mit Clara Tatlow-Devally
Anna beginnt damit, mir zu erklären, dass das Herzstück von MAESHA und die Hauptaufgabe von Hudara in diesem Projekt Initiativen sind, die als „Energiegemeinschaften“ bezeichnet werden. Sie bilden die grundlegende Struktur des Projekts:
Anna: Eine Energiegemeinschaft ist eine Gruppe von Menschen, Bürgern, die zusammenkommen und sich an Aktionen beteiligen, die zu einer sauberen Energiewende beitragen. Sie steht jedem offen, und die Teilnahme ist freiwillig. Ihr Hauptzweck ist der Nutzen für die Gemeinschaft. Sozial, ökologisch oder wirtschaftlich.
Clara: Kannst du einige Beispiele für die Energiegemeinschaften nennen, die gegründet wurden, um den Übergang Mayottes zu nachhaltiger Energie zu erleichtern?
Anna: Es gibt eine wirklich große Vielfalt an Energiegemeinschaften. Ich meine, Energie ist ein ziemlich großer Bereich, oder? Wir haben eine Gemeinschaft, die sich auf die Mobilität konzentriert. Ein Problem in Mayotte ist, dass es außer der Fähre und den Schulbussen keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt. Deshalb arbeiten wir mit dem Start-up „Mob’Helios“ an E-Bikes und Bike-Sharing. Fahrräder sind in Mayotte nicht sehr verbreitet, kaum jemand hat eins. Sie werden jetzt immer beliebter, aber es gibt keine Reparaturdienste. Also bauen wir das auf. Eine weitere Energiegemeinschaft befindet sich im Universitätszentrum. Wir haben eine Studentenvereinigung gegründet, die Workshops [über den Klimawandel] und die Energiewende für die Studenten der Universität durchführt. Bei einigen Energiegemeinschaften geht es um den sozialen Wohnungsbau. In Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung haben wir ein Sozialwohnungsbauprogramm ins Leben gerufen, bei dem Menschen aus Blechsiedlungen in dauerhafte Wohnungen umgesiedeln können, wo wir die Installation von Solarzellen organisieren.
Im Rahmen des MAESHA-Projekts wurden 11 Energiegemeinschaften gebildet, die sich jeweils auf einen anderen Aspekt der Energiewende konzentrieren und daran arbeiten, Gemeindemitglieder in die Entscheidungsfindung bei der Planung einer sauberen und gerechten Energiewende einzubeziehen. Die Energiegemeinschaften dienen als Plattform für Diskussionen, Ideenaustausch und Bildung. Anna erklärt, dass eine anfängliche Herausforderung bei dem Projekt das mangelnde Wissen über Energie und Klimawandel in Mayotte war:
Anna: Das Wissen über Klimawandel und Energie, was Energie eigentlich ist, woher sie kommt und so weiter, ist auf der Insel gering. Elektrizität ist ein großes Problem, denn Mayotte ist in hohem Maße von fossilen Brennstoffen aus Übersee abhängig, was ziemlich teuer ist und die Umwelt verschmutzt.
Clara: War es angesichts des geringen Wissens über Energie- und Umweltthemen im Allgemeinen schwierig, Menschen für die Mitarbeit in Energiegemeinschaften zu gewinnen? Was ist der Anreiz für die Menschen, sich anzuschließen?
Anna: Was haben die Leute davon“: Das ist immer die Frage, denn niemand würde [beitreten], wenn seine Interessen oder Bedürfnisse nicht irgendwie befriedigt würden. Bei der Installation von Solarmodulen geht es den Menschen darum, vom Stromnetz unabhängig zu sein und Geld für Strom zu sparen. Für die Fahrradtechniker geht es um die Schaffung von Arbeitsplätzen, um eine langfristige Beschäftigung. […] Wenn die Menschen sehen, dass sich ein sicherer Arbeitsmarkt entwickelt, in den sie ihr Wissen über die Energiewende einbringen können, ist dies ein Anreiz. Bei der Bewusstseinsbildung an der Universität geht es darum, dass die Studenten sich für etwas engagieren wollen. Es ist gut für ihre Ausbildung und ihren Lebenslauf, einen Verein zu gründen, gemeinsam etwas zu gestalten und ihre sozialen Kompetenzen zu entwickeln.
Jede Gemeinschaft ist auf ihre eigenen Bedürfnisse ausgerichtet. Und auf Mayotte steht oft der Umweltaspekt nicht im Mittelpunkt dieser Bedürfnisse, sondern ist eher eine Begleiterscheinung davon.
Clara: Diese Initiative zielt darauf ab, mehrere EU-Inseln zu dekarbonisieren, und zu diesem Zweck wird ihr Potenzial für Replikationen untersucht. Worin siehst du aus deiner persönlichen Erfahrung mit dem Projekt die Herausforderungen bei der Replikation? Wird die Arbeit, die du leistest, vor allem von kontextspezifischen Anforderungen oder von den Zielen des Projekts im weiteren Sinne beeinflusst?
Anna: Von der Hudara-Seite aus gesehen ist unsere Perspektive also von unten nach oben, kontextspezifisch. So arbeite ich, denn ohne den Kontext kann ich nichts Konkretes festlegen. […] Der Kontext ist so wichtig. Wenn der Kontext völlig anders ist, wenn das Projekt beispielsweise auf einer wohlhabenden Insel durchgeführt werden würde, dann wären womöglich finanzielle Gewinne oder die Schaffung von Arbeitsplätzen nicht so relevant. In diesem Fall wäre vielleicht die Umweltperspektive der einschlägige Ansatz. Ich denke jedoch, dass die allgemeinen Schritte, wie man Projekte und Gemeinschaften aufbaut, ähnlich sind. Es geht darum, dass Menschen zusammenarbeiten und versuchen, gemeinsam etwas aufzubauen oder zu etablieren.
Anna beschreibt ein dynamisches Projekt, das sich auf die Beziehungen zu den Menschen auf der Insel stützt. Sie konzentriert sich auf den Aufbau von Vertrauen, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit, um das Engagement der Bürger und eine echte Beteiligung der Gemeinschaft zu fördern.
Mayotte ist Teil einer Gruppe kleiner Inseln, die zwischen der Küste von Mosambik und Madagaskar liegt. Sie grenzt an die drei Inseln der Komoren, die als Überseedepartement von Frankreich verwaltet werden, so dass Mayotte einen Kontinent übergreifenden Kontext aufweist.
Mayotte war jahrhundertelang Invasionen, Vernachlässigung und Gewalt seitens der Monarchen, Händler und Kolonialmächte ausgesetzt. 1841 erwarb Frankreich Mayotte und dehnte sein Kolonialprojekt auf diese Inseln aus. Dies führte zur Ausbeutung der Ressourcen der Inseln und ihrer Bewohner im Laufe von rund 120 Jahren.
Im Gegensatz zu den benachbarten Komoren hat die Bevölkerung von Mayotte jedoch wiederholt dafür gestimmt, die Verbindung zu Frankreich aufrechtzuerhalten. Diese Verbindung macht Mayotte zur Region in äußerster Randlage der EU und zur wohlhabendsten unter den anderen Inseln in dieser geografischen Lage, auch wenn Mayotte im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn auf dem Festland relativ arm ist.
Als ich Anna über die sozio-politische Landschaft von Mayotte aus ihrer Perspektive befrage – eine Außenstehende, die sich in den letzten zwei Jahren in einige Aspekte der Gemeinschaften in Mayotte eingearbeitet hat – beschreibt sie einen Ort und Menschen, die darum kämpfen, mit den Spannungen umzugehen, die sich zwischen den Gemeinschaften aufbauen:
Anna: Jeden Tag kommen Boote mit Menschen an, die einfach nur eine Zukunft suchen. Ich habe die Zahl nicht im Kopf, aber in Mayotte wächst die Bevölkerung rapide – und flächenmäßig ist es eine winzige Insel. Und obwohl Mayotte zu Frankreich gehört, braucht man Papiere, um in andere Teile der EU zu gelangen. Viele Menschen kommen also in Mayotte an und sitzen dann auf der Insel fest.
Es gibt dort so viele verschiedene Kulturen und auch Konflikte zwischen den Kulturen, zwischen den Mahorais und den in Mayotte lebenden Migranten. Auf Mayotte leben viele Menschen von den Komoren, die auf der Insel schlecht behandelt werden. Wenn so viele Menschen zusammen sind, kommt es oft zum Konflikt, insbesondere wenn sich manche in einer schwachen Position befinden. Das ist die Realität, die nicht ignoriert werden kann.
Ich frage Anna, wie es für sie ist, in diesem Kontext – wo Gewalt und Armut anhaltende Probleme sind und die einwanderungsfeindliche Stimmung zunimmt – mit dem Ziel zu arbeiten, die Beteiligung der Gemeinschaft zu fördern. Inwieweit fließen die Spaltungen in der Gesellschaft in ihre Arbeit ein? Ist dies etwas, dem man entgegen treten kann?
Anna: Das spielt eine ziemlich dominante Rolle, weil die Menschen manchmal einfach nicht miteinander kooperieren, wenn sie unterschiedlichen sozialen Gruppen angehören. Man muss seine eigenen Überzeugungen zurückstellen und sich an den Kontext anpassen, indem man mit bereits etablierten Strukturen arbeitet. Einer der Fahrradtechniker sagte zum Beispiel, er könne nicht an einen bestimmten Ort gehen, um ein Fahrrad abzuholen, weil er Angst habe. Gewalt ist ein großes Problem.
In der Gemeinschaft, mit der ich arbeite, hatten die Menschen wenige Beziehungen zu Menschen aus einer anderen Gemeinschaft, und soweit ich weiß, gab es keine Möglichkeit, dass sie miteinander arbeiten würden. Es gab einfach keine Möglichkeit. Denn die Spannungen sitzen einfach so tief. Ich meine, das ist Geschichte, das sind jahrelange Erfahrungen und starke politische Meinungen, die aufeinanderprallen. Man kann diese Spannungen bei einem Projekt wie diesem nicht einfach abbauen. Das ist einfach nicht möglich.
In etablierten Strukturen, wie an der Universität, kann man jedoch eine Vereinigung gründen, etwa eine Studentenvereinigung. Oder in den Wohnanlagen, wo die Menschen bereits nebeneinander wohnen, kann man die Zusammenarbeit fördern. Deshalb sind wir so sehr auf die Menschen angewiesen. Wir sind auch auf die Kommunen und unsere lokalen Partner angewiesen. Ich denke, das Wichtigste ist, flexibel zu sein und sich an den Kontext und die Realität anzupassen.
Clara: Aus dem, was du erzählst, geht hervor, dass die Reflexion ein zentraler Bestandteil des Ansatzes ist. In den letzten zwei Jahren warst du mit einigen Herausforderungen konfrontiert, aber du hattest auch viele Erfolge. Du hast mit zahlreichen Partnern und Gemeinden vor Ort und aus der Ferne zusammengearbeitet, um Aufklärungs-, Bildungs- und Schulungsmaßnahmen durchzuführen. Du hast die Entwicklung und den Bau von mehreren Standorten in Mayotte koordiniert. Du hast Beziehungen aufgebaut, die auf Vertrauen und Respekt beruhen, und Gemeinschaften gebildet, die auf gleichberechtigten Partnerschaften und gemeinsamen Interessen basieren. Das hat harte Arbeit und Hingabe erfordert. Meine letzte Frage lautet: Was inspiriert dich?
Anna: Für mich ist es wichtig, die Veränderungen zu sehen. Zu sehen, dass die Dinge vorankommen, auch wenn es langsam geht. Und die Wertschätzung, das Lächeln und die Dankbarkeit der Menschen. Und meine Dankbarkeit gegenüber anderen, der Austausch in der Zusammenarbeit mit ihnen. Wenn ich zurückblicke, wo wir angefangen haben, und wo wir jetzt sind. Das motiviert mich.