Stimmen aus der Praxis
Über die Unterstützung der psychischen Gesundheit von Jugendlichen im Irak
Im Irak gibt es nach Krieg und Gewalt immer noch viel zu tun. Hudara hat den Direktor unserer Partnerorganisation bei einem Projekt zur psychologischen Unterstützung von Jugendlichen um eine persönliche Einschätzung gebeten.

Autor: Farah Barakat & Lena Schmid, Hudara

Der Irak wurde periodisch von wiederkehrender Gewalt und Krieg erschüttert

Zuletzt war es die Invasion des Islamischen Staates im Irak und in Syrien (ISIS). Nach dessen Niederlage bemühen sich die Menschen, der Aufnahme von fast 250.000 syrischen Flüchtlingen gerecht zu werden, während sie gleichzeitig mit den Auswirkungen der eigenen vergangenen ISIS-Besetzung und der Versorgung von fast 1.400.000 intern vertriebenen Irakern ringen. Die Menschen stehen vor stürmischen Herausforderungen, ein großer Anteil der Bevölkerung ist von psychosozialem Leid betroffen. Darüber hinaus sind psychische Störungen wie Depressionen, Ängste und posttraumatischer Stress verbreitet.

 

Hudara arbeitet eng mit der Partnerorganisation Rusaz zusammen

Rusaz ist eine von jungen Menschen geleitete, rechtlich registrierte Nichtregierungsorganisation im Irak, die den Schwerpunkt auf vulnerable Menschen, insbesondere Frauen, im frühen Erwachsenenalter legt. Ahmad Salahadeen Saadon ist ein in Dohuk geborener kurdischer Iraker, einer der Gründer von Rusaz, die er seit Jahren leitet. Das Ziel des gemeinsamen Projekts von Hudara und Rusaz ist die psychologische Betreuung von Jugendlichen im Flüchtlingslager Dawadia nahe der Stadt Dohuk. Die Jugendlichen üben sich darin, mit psychosozialen Problemen umzugehen und werden unterstützt, ihr Wohlbefinden zu verbessern und soziale Verbundenheit mit anderen Heranwachsenden unterschiedlicher ethnischer, religiöser und sozioökonomischer Hintergründe aufzubauen. Gruppen-therapeutische und individuelle klinische Betreuung werden mit sportlichen und kreativen Aktivitäten wie Malen, Musizieren, Fotografieren und Kunsthandwerken verbunden.

 

Ahmed Saadon, der Direktor von Rusaz, gab Einblicke in die gegenwärtige Situation in der Covid-19 Krise

Er berichtete, dass Covid-19 die Menschen gerade enorm beeinträchtigt: „Wir hatten in letzter Zeit einen Anstieg der Fälle, und die Bevölkerung in den Lagern ist am stärksten vom Virus bedroht, da oftmals fünf bis sieben Familienmitglieder in einer kleinen Hütte zusammenleben. Dies, und dazu kommen die harten Lebensbedingungen und die traumatischen Erfahrungen während früherer Konflikte, hat einen enormen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Menschen. Die irakischen und kurdischen Bürgerinnen und Bürger durch diesen Virus nun ihre absolute Belastungsgrenze erreicht „.

 

Er berichtet auch über die Geschichte der Jugendlichen, die an dem Projekt teilnehmen

„Wir betreuen viele Jugendliche, und jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, mit der er/sie versucht, zurechtzukommen. Sie leiden unter den schwierigen Lebensbedingungen im Lager, heiß im Sommer, kalt im Winter, ein kleiner Raum für alle Familienmitglieder, nur eingeschränkte Schulbildung, fast keine Freizeitaktivitäten während der Tage und ein langer Weg in die nächste größere Stadt. Die wirtschaftliche Situation ist hart, das bringt viel Stress und Depression in die meisten Familien und jetzt das Virus COVID, das sie die ganze Zeit im Lager gefangen hält.“

Er beschrieb uns auch einige der besonderen Leiderfahrungen: „Manche dieser jungen Menschen, die wir betreuen, haben in der Vergangenheit besonders Schweres erfahren. Da war zum Beispiel dieses Mädchen, das an unserem Projekt teilgenommen hat. Sie wurde sehr jung von ISIS-Kämpfern gefangen genommen, zwangsverheiratet, hatte zwei Kinder mit ihrem Ehemann. Sie adaptierte an diese Situation, nahm Kontakt mit dem Kämpfer auf, wechselte wegen ihm ihre Religion und wurde eine vollwertige Muslimin. Als die Besetzung von Mosul endete, verschwand dieser mit den Kindern, und sie rettete sich und schloss sich wieder ihrer ursprünglichen Familie an. Mit dieser floh sie gemeinsam in das Lager hier. Das Mädchen hatte viele Ängste, sie konnte mit der Familie und Gemeinschaft im Lager nicht über ihre Zugehörigkeit zum IS reden, da sie wusste, dass sie von ihnen abgelehnt werden würde. Sie litt sehr darunter, und sie vermisste ihre Kinder. Sie war verwirrt darüber, wo sie hingehörte und wie die Zukunft aussehen sollte. Unsere Psychologin besuchte sie viele Male zu Hause und sprach mit ihr und ihren Familienmitgliedern. Durch unsere Mitarbeiter erhielt das Mädchen psychologischen Beistand und sie nahm an den kreativen Aktivitäten teil. Das Lernen und Ausprobieren von etwas Neuem machte ihr Freude, lenkte sie vom Elend ab und verband sie mit anderen Gleichaltrigen“.

 

Ahmed erläutert uns, warum Rusaz gerne mit Hudara zusammenarbeitet

Angesichts der langen Geschichte des belastenden internationalen Intervenierens im Irak ist uns Ahmeds Meinung dazu besonders wichtig. Ahmed sagte: „Ausländische Organisationen sollten versuchen, mit einer lokalen/nationalen Organisation zusammenzuarbeiten – so wie Hudara. Die Mitarbeiter von Rusaz sind mit dem lokalen Kontext und der Kultur vertraut, und wir entwickeln gemeinsam mit Hudara geeignete Maßnahmen und passen diese an die örtlichen Gegebenheiten an“. Es werden Aktivitäten ausgewählt, die im Hinblick auf Traditionen und kulturelle Hintergründe effektiv und geeignet sind. Dazu bedarf es großer Sensibilität und Verständnis für das, was die Menschen in Kurdistan durchgemacht haben – eine Aufgabe, für die eine lokale Organisation wie Rusaz die Erfahrung und die Möglichkeiten mitbringt. Zudem werden durch eine solche Vorgehensweise die Kapazitäten der lokalen Fachkräfte erweitert, was die Nachhaltigkeit der Projektaktivitäten erhöht.

 

Menschen mit psychischen Problemen fürchten, stigmatisiert zu werden

Da ist immer noch eine große Hemmschwelle um Hilfe entgegenzunehmen. Ahmed kommentierte, dass die Menschen im Irak psychische Gesundheit oft als „keine große Sache“ ansehen. Darüber hinaus normalisieren sich angesichts der langen Geschichte von Traumata und Konflikten die meisten belastenden Gefühle, da manchmal die gesamte Bevölkerung kollektiv in irgendeiner Weise betroffen ist. Da für eine friedliche Gesellschaft die psychische Gesundheit und Belastbarkeit ihrer Mitglieder inhärent ist, ist dies eine fragile Situation.

 

Der Blick in die Zukunft

Da ist auch Positives: „Die politischen Verhältnisse im Land geraten etwas mehr unter Kontrolle, und ich habe die Hoffnung, dass sich dadurch auch die psychischen Bedingungen der Bevölkerung etwas verbessern werden. Bis zu einem stabilen Frieden ist noch ein langer Weg zu gehen und die Arbeit von Organisationen, wie Hudara und Rusaz, ist in diesem Prozess sehr wichtig.“ Wir von Hudara sehen es wie Ahmed und die anderen Mitarbeiter von Rusaz, wir sind zuversichtlich. Und wir glauben an die positiven Impulse, die wir durch alltägliche kleine Erfolge in unserer Arbeit setzen.